Die Bauwirtschaft steht vor einer gewaltigen Herausforderung. Laut einem Bericht der Vereinten Nationen ist der Gebäude- und Bausektor für fast 40 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Aber noch schlimmer: Baut die Menschheit in der Geschwindigkeit und vor allem derselben Intensität weiter, was den Materialbedarf angeht, fehlt es in wenigen Jahrzehnten an allem, was wir für unsere Behausungen und Verkehrswege brauchen. Zwei neue Ansätze in der Architektur zeigen auf, wie sich das mittel- und langfristig ändern könnte.
Kreislaufwirtschaft & Naturbeobachtung
Lange Zeit haben grosse Denker und Philosophen von der Genialität des Menschen gesprochen. Von seiner individuellen Intelligenz, aber auch davon, wie die Menschen immer wieder gemeinsam Grosses erreicht haben und dies auch weiterhin tun können. Dumm nur, dass der Mensch das einzige Lebewesen auf dem Planeten Erde zu sein scheint, das alles daran setzt, seinen eigenen Untergang herbeizuführen.
Am meisten Ressourcen braucht der Mensch für seine Ernährung und seine Behausungen. In beiden Bereichen herrscht aktuell entweder Überfülle oder grosser Mangel. Dies hat einerseits mit der ungleichen Verteilung von Wohlstand und damit der Güter zu tun. Aber es hat auch sehr viel damit zu tun, dass dem Menschen ganz generell der Sinn für seine unmittelbare Umgebung abhanden gekommen ist und er nicht mehr in der Lage ist, sinnvoll mit seinen Ressourcen umzugehen. Auf lange Sicht droht, dass die ökologischen Probleme überhand nehmen und die natürlichen Rohstoffe nicht mehr für alle ausreichen werden.
Re-Use-Architecture
Aus diesem Grund hat eine jüngere Generation von Architekten angefangen, Häuser nicht immer aus neuen Materialien zu bauen, sondern bereits verbaute Materialien und Elemente für ihre neuen Entwürfe zu verwenden. «Re-Use», also «Wiederverwendung», nennt sich diese Strömung, die verstärkt auch in der Schweiz Einzug hält. Ein Leuchtturm-Projekt für die Verwendung von rezyklierten und kreislauftauglichen Baumaterialien ist K.118 in Winterthur. Der Umbau einer alten Fabrik hat den Prix Acier 2021 gewonnen und weltweit Preise eingeheimst für einen zwar nicht genialen, aber äusserst sinnvollen Umgang mit dem Bestand.
Eine zweite Gruppe von Architekten geht einen anderen Weg. Sie hat begonnen, die Bauweisen der Natur zu studieren und zu schauen, wie wir die genialen Baumeister der Natur nachahmen können. Das beste Beispiel dafür ist der Burj Khalifa, das höchste Gebäude der Welt: 828 Meter hoch thront es in der Wüstenstadt Dubai. Damit darin 12'000 Menschen leben und arbeiten können, braucht es täglich 250'000 kWh Energie, was dem Jahresverbrauch der Gemeinde Neuchâtel entspricht. Gleichzeitig pumpt das Wassersystem des Burj Khalifa täglich fast 1 Million Liter Wasser in das Gebäude.
Termitenhügel übertreffen den Burj Khalifa bei Weitem
Zum Vergleich: Die Türme der australischen Spinifex-Termiten erreichen eine Höhe von bis zu 7 Metern Höhe ab Boden. Unter dem Erdboden geht der Bau nochmals in dieselbe Tiefe. Vergleicht man die Durchschnittsgrösse der Krabbeltiere mit derjenigen von uns Menschen, so wäre allein der sichtbare Teil des Termitenhügels rund 1260 Meter hoch, also über einen Drittel höher als der Burj Khalifa.
In einem Spinifex-Turm leben bis zu drei Millionen Termiten bei einer für sie ganzjährig – also auch in der Sommerhitze von Australiens Norden – angenehmen Innentemperatur von konstant 30 Grad Celsius bei einer fast 100-prozentigen Luftfeuchtigkeit. Und das ohne Strom und Wasser und allein dank eines ausgeklügelten Belüftungssystems und einer in der Tat genialen Bauweise. Da lohnt es sich in der Tat, den Termiten etwas genauer auf die Fühler und Kiefer zu schauen.
Der Burj Khalifa ist mit 828 Metern das höchste je von Menschen gebaute Gebäude. Er steht mitten in der Wüste und verschlingt Unmengen an Energie und Wasser.
Wären die Spinifex- bzw. Kathedralen-Termiten gleich gross wie Menschen, wären ihre grössten Hügel über 1200 Meter hoch. Der Energiebedarf für ein ganzjährig konstantes Innenraumklima von 30 Grad Celsius beträgt übrigens Null.
Unscheinbar, aber geniale Baumeister: Die australischen Spinifex- oder Kathedralen-Termiten.
Wohnen, genau wie Bienen, in geometrisch strengen Formen: Wespen beim Bau ihres Nestes.
Nicht nur Insekten sind tolle Baumeister: Auch Webervögel bauen wunderschöne Behausungen.