Die 1980er- und 1990er-Jahre bringen in der Schweiz tiefgreifende Veränderungen in Politik, Gesellschaft und Kultur. Diese Jahrzehnte prägen das Land nachhaltig und setzen in politischer, gesellschaftlicher, sozialer und kultureller Hinsicht starke Impulse, die bis heute spürbar sind.
Politisch sind die 1980er- und 1990er-Jahre in der Schweiz geprägt von Stabilität, aber auch von bedeutenden Veränderungen. Die Schweiz bleibt als neutraler Staat aussenpolitisch zurückhaltend und engagiert sich weiterhin in Friedensförderung und humanitärer Hilfe. Gleichzeitig entfachen innenpolitische Debatten über die Rolle der Schweiz im internationalen Kontext, vor allem im Hinblick auf die Europäische Union (EU). 1992 lehnt die Bevölkerung den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) knapp ab, was die Schweiz von einer engeren europäischen Integration ausschliesst und die Beziehung zur EU zu einem Dauerthema macht. Diese Entscheidung spaltet die Bevölkerung und führt zu Diskussionen über Neutralität, Souveränität und die wirtschaftliche Zukunft des Landes.
Die Schweizer Bevölkerung lehnt 1992 in einer äusserst knappen Wahl den Beitritt zum EWR ab. Das beeinflusst die Beziehungen zur EU bis heute.
Innenpolitisch dominieren auch Umweltfragen und die Atomkraft. In den 1980ern wecken starke Proteste gegen Kernenergie, angeregt durch die Katastrophe von Tschernobyl 1986, das Bewusstsein für alternative Energien und Nachhaltigkeit.
Wirtschaftliches Auf und Ab
Von 1980 bis 1999 erlebt die Schweizer Wirtschaft mehrere Höhen und Tiefen. In den 1980ern profitiert die Schweiz von einer globalen Konjunktur und wachsenden Exporten, besonders im Maschinenbau, in der Chemie und im Finanzsektor. Die Schweiz etabliert sich als internationaler Finanzplatz und nutzt ihre politische Stabilität.
In den frühen 1990ern trifft eine Rezession die Wirtschaft, ausgelöst durch den Zusammenbruch des Immobilienmarkts und eine Bankenkrise. Die steigende Arbeitslosigkeit, ungewohnt in einer Schweiz mit traditioneller Vollbeschäftigung, bringt gesellschaftlichen Wandel. Gegen Ende der 1990er erholt sich die Wirtschaft durch technologische Innovationen und eine neue Dynamik im Exportsektor, was die Grundlage für den Aufschwung der 2000er-Jahre schafft.
Der Stein des Anstosses: Die Zürcher Jugend kämpft auf der Strasse erbittert für ein autonomes Jugendzentrum (AJZ).
Gesellschaftliche Entwicklungen und Bewegungen
Gesellschaftlich stehen die 1980er im Zeichen von Politisierung und sozialen Bewegungen. Besonders prägend ist die «Züri brännt»-Bewegung zu Beginn der 1980er-Jahre. Jugendliche protestieren in Zürich für mehr Freiräume und kulturelle Angebote, lehnen konservative Werte ab und setzen sich für selbstverwaltete Jugendzentren ein, was zur Gründung des autonomen Jugendzentrums (AJZ) in Zürich führt. Diese Unruhen spiegeln den Generationenkonflikt wider und fördern das Streben nach mehr gesellschaftlicher Teilhabe.
Auch die Frauenbewegung gewinnt an Bedeutung. In den 1980ern setzen sich Frauenorganisationen für Gleichberechtigung und bessere rechtliche Bedingungen ein. 1981 wird der Gleichstellungsartikel in die Bundesverfassung aufgenommen, und 1991 findet der erste landesweite Frauenstreik statt, an dem hunderttausende Frauen teilnehmen, um auf Ungleichheiten aufmerksam zu machen. Der Streik markiert einen Meilenstein der Frauenbewegung und bringt Forderungen wie gleichen Lohn und bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ins öffentliche Bewusstsein.
Anstelle des AJZ erhielt die Zürcher Jugend später in Wollishofen die «Rote Fabrik». Foto: Adrian Michael/Wikipedia
Dunkle Kapitel der Sozialpolitik
Der Fürsorgerische Freiheitsentzug (FFE) wird in den 1980er- und 1990er-Jahren zunehmend kritisch hinterfragt. Menschen, die als «verwahrlost» oder «arbeitsscheu» gelten, darunter oft Jugendliche und sozial Benachteiligte, werden zwangsweise in Einrichtungen untergebracht. Missbrauch und Zwangsarbeit kommen ans Licht und lösen öffentliche Empörung aus. Opfergruppen bilden sich, die Aufarbeitung und Entschädigung fordern, und die Gesellschaft wird sensibler im Umgang mit vulnerablen Gruppen. Erst 2013 entschuldigt sich der Bundesrat offiziell bei den Opfern.
Ein weiteres düsteres Kapitel betrifft die Jenischen, deren Kinder durch die Stiftung Pro Juventute im Rahmen der «Kinder der Landstrasse»-Aktion von ihren Familien getrennt werden, um sie «sesshaft» zu machen. In den 1980ern setzt eine Aufarbeitung ein, und 1986 entschuldigt sich der Bundesrat bei den Opfern. Die Diskussion führt zu einer neuen Sensibilität für Minderheitenrechte.
Kulturelle Entwicklungen und Highlights
Die 1980er- und 1990er-Jahre bringen kulturelle Vielfalt und ein wachsendes Selbstbewusstsein in die Schweiz. Die Musikszene floriert, besonders in der unabhängigen Musik- und Clubszene in Zürich, Basel und Genf. Punk- und New-Wave-Bewegungen finden hier Anklang, und Clubs wie die «Rote Fabrik» werden Zentren alternativer Musik und Subkultur. In den 1990ern wächst die Technoszene, und die Street Parade in Zürich wird zum internationalen Symbol für Offenheit und Lebensfreude.
Das Kunsthaus Zürich entwickelt sich zu einem Hotspot der Schweizer und internationalen Kunstszene. Foto: Kunsthaus Zürich/Franca Candrian
In der bildenden Kunst und im Theater setzen Künstler wie Jean Tinguely und Daniel Spoerri neue Massstäbe. Museen wie die Fondation Beyeler und das Kunsthaus Zürich gewinnen an Bedeutung. Die zeitgenössische Kunst und Performance erleben eine Blütezeit, und die Theaterwelt, mit dem Schauspielhaus Zürich an der Spitze, setzt auf moderne Inszenierungen und gesellschaftskritische Werke.
Auch der Film gewinnt an Bedeutung: Werke wie «Reise der Hoffnung» (1990) von Xavier Koller, der den Oscar für den besten fremdsprachigen Film erhält, und Fredi M. Murers «Höhenfeuer» (1985) beschäftigen sich mit gesellschaftlichen Themen und bringen das Schweizer Kino auf die internationale Bühne.
Der Einfluss der Medien
Der Aufstieg der Massenmedien prägt diese Jahrzehnte entscheidend. In den 1980ern entstehen mit Radio 24 und TeleZüri die ersten Privatsender, die Alternativen zu staatlichen Medien bieten. Die Medienlandschaft diversifiziert sich, und in den 1990ern wird das Internet zunehmend präsent, was die Kommunikation und Informationsverbreitung verändert und die Basis für die heutige Medienwelt legt.
Der Medienpionier Roger Schawinski (hier auf einem Bild von 1991) gründet ausserhalb der Schweiz den Piratensender «Radio 24», der die Zeit der privaten Radio- und TV-Senderin der Schweiz einläuten wird. Foto: Bibliothek am Guisanplatz, Sammlung Rutishauser
Fazit
Die 1980er- und 1990er-Jahre sind für die Schweiz eine Zeit des Umbruchs und der Entwicklung. Politisch prägen Debatten über europäische Integration und Umweltpolitik das Land, während gesellschaftlich die Jugendbewegungen, der Frauenstreik und der Umgang mit Minderheiten im Vordergrund stehen. Kulturell erlebt die Schweiz eine Blütezeit, von Musik über Kunst bis hin zu Film und Theater. Diese Jahrzehnte legen wichtige Grundsteine für die heutige Schweiz und spiegeln eine dynamische, vielfältige und widerständige Gesellschaft wider, die sich kontinuierlich wandelt und weiterentwickelt.