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Autofreier Sonntag 1973 (1)

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Epilog

Das letzte Wort

Von der Hochkonjunktur zur Staatskrise

Wirtschaftlich erlebte die Schweiz ab den 1950er-Jahren eine noch nie dagewesene Blüte, die bis in die 1970er Jahre anhielt. In dieser Zeit wurden die Exporte nahezu verzehnfacht. Durch eine sehr starke Bautätigkeit und Mobilitätssteigerung der Bevölkerung veränderte sich das Gesicht der Schweiz stark. Besonders das Mittelland zwischen Genf und Lausanne sowie zwischen Bern, Zürich und St. Gallen verlor durch die Zersiedelung seinen ländlichen Charakter. Die starke Rezession nach dem Ölschock 1973 und ein tiefer Riss durch die Schweizer Gesellschaft prägten die folgenden Jahre.

Die Schweizer Wirtschaft lief Anfang der 1960er-Jahre mehr als nur geschmiert. Längst genügte das bestehende Strassennetz dem gestiegenen Verkehrsaufkommen nicht mehr. Das vom Parlament verabschiedete Gesetz über ein Nationalstrassennetz übertrug deshalb dem Bund die Kompetenzen im Nationalstrassenbau. Der ebenfalls stark wachsende Energiebedarf wurde durch den Bau von fünf Atomkraftwerken und mit dem Ausbau der Wasserkraftgewinnung, unter anderem durch den Bau zahlreicher Stauseen, befriedigt.

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Der Ausbau des Schweizer Nationalstrassennetzes gehörte zu den Treibern der wirtschaftlichen Entwicklung in den 1960er- und 1970er-Jahren.

Die wirtschaftliche Entwicklung vor allem im Dienstleistungssektor führte zu einer starken Steigerung der privaten Einkommen und des allgemeinen Wohlstands. Der Ausbau des Wohlfahrtsstaates (Einführung der Alters- und Hinterlassenenversicherung AHV und der Invalidenversicherung IV sowie die Reduktion der Arbeitszeiten bei gleichzeitigem starken wirtschaftlichen Wachstum) beschied der Schweiz bis in die 1990er Jahre sozialen Frieden. Die Landesausstellung Expo 64 in Lausanne fand im Geiste der Hochkonjunktur und des Fortschrittsglaubens statt.

Das Wirtschaftswachstum machte seit den 1960er Jahren auch den Import von «billigen» Arbeitskräften aus dem Ausland für die Bau- und die Tourismusindustrie nötig. Der Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung stieg deshalb zwischen 1960 und 1970 von 10.0 auf 17.5 Prozent an. Die Italiener stellten damals die grösste Einwanderergruppe, da Italien bereits 1948 mit der Schweiz einen Vertrag zur Vermittlung von italienischen Arbeitskräften geschlossen hatte. 

Mit dem Ende der Hochkonjunktur in den frühen 1970er Jahren machten sich bei Teilen der Bevölkerung Überfremdungsängste bemerkbar. Mehrere Versuche, die Zahl der Ausländer in der Schweiz durch sogenannte «Überfremdungsinitiativen» (James Schwarzenbach) zu beschränken, scheiterten in der Volksabstimmung.

Der Bundesrat versuchte zwar, mit der Durchsetzung des 1934 errichteten Saisonnierstatuts die dauerhafte Niederlassung der sogenannten «Gastarbeiter» zu verhindern, schuf damit jedoch nur soziale Härtefälle und behinderte die rasche Integration der Migranten.

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Die DC-8 der Swissair, die von palästinensischen Terroristen entführt und in der jordanischen Wüste gesprengt wurde. Alle 143 Passagiere und 12 Besatzungsmitglieder waren zuvor freigelassen worden. (Bild: Wikimedia RuthAS)

Ende der 1960er-Jahre geriet die Schweiz unvermittelt ins Visier von palästinensischen Terroristen: Am 18. Februar 1969 eröffneten vier Fatah-Attentäter auf dem Flughafen Zürich das Feuer auf ein Flugzeug der israelischen Fluggesellschaft El Al. Der Co-Pilot und ein Attentäter starben beim Anschlag. Am 21. Februar 1970 stürzte der Swissair-Flug 330 nach der Explosion einer Paketbombe bei Würenlingen ab. Alle 47 Menschen an Bord starben. Das Attentat der Volksfront zur Befreiung Palästinas PFLP galt eigentlich der israelischen Fluggesellschaft El-Al.

Die Anschlagserie der Palästinenser gipfelte im September 1970 in der Entführung von drei Passagierflugzeugen aus der Schweiz, den USA und Grossbritannien mit zusammen mehr als 300 Geiseln an Bord nach Jordanien. Die 143 Passagiere und 12 Besatzungsmitglieder des Swissair-Flugs SR100 wurden, wie alle anderen Geiseln auch, freigelassen. Danach sprengten die Terroristen die Flugzeuge. 

2016 veröffentlichte ein Journalist der Neuen Zürcher Zeitung die These, dass der damalige Aussenminister, Bundesrat Pierre Graber, unter Vermittlung von SP-Nationalrat Jean Ziegler, mit der damals offen terroristisch agierenden Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO ein geheimes Stillhalteabkommen abgeschlossen habe.

Die Schweiz sollte fortan von terroristischen Anschlägen verschont bleiben. Im Gegenzug setzte sich die Schweiz für die diplomatische Anerkennung der PLO am Uno-Sitz in Genf ein. Die Anklageerhebung gegen einen palästinensischen Verdächtigen des Anschlages auf den Swissair-Flug 330 mit 47 Toten wurde von der Justiz aus noch unbekannten Gründen eingestellt. 1995 rollte die damalige Bundesanwältin Carla Del Ponte den Fall trotz Verjährung nochmals auf, stellte jedoch 2000 das Verfahren wieder ein.

Autofreier Sonntag 1973

Alleine unterwegs und erst noch verbotenerweise auf einer Schweizer Autobahn? Dieses Szenario wurde 1973 im Gefolge der Ölkrise während dreier autofreier Sonntage zur skurrilen Realität.

Die Einführung des Frauenstimm- und Wahlrechts auf Bundesebene scheiterte 1959 erstmals in einer Volksabstimmung. Waadt und Neuenburg führten es jedoch im gleichen Jahr auf kantonaler Ebene ein, und als erste Kantone in der Deutschschweiz folgten Basel-Stadt (1966) und Basel-Landschaft (1968).

Mit Trudy Späth war 1958 die erste Frau in eine politische Behörde gewählt worden. Doch erst 1971 wurde in einer Volksabstimmung (der Schweizer Männer) das Frauenstimmrecht nach jahrzehntelangem Kampf angenommen. Auf kantonaler Ebene sollte es noch bis 1991 dauern, ehe der Kanton Appenzell Innerrhoden auf Druck des Bundesgerichts Frauen an der Landsgemeinde zuliess.

Nach der politischen Gleichberechtigung erhielten die Schweizer Frauen 1981 mit der Anpassung von Artikel 8 der Bundesverfassung auch auf Verfassungsstufe die gleichen Rechte wie die Männer. Mit Elisabeth Kopp von der FDP sollte es allerdings noch weitere drei Jahre gehen, bis 1984 die erste Frau in den Bundesrat gewählt werden sollte.

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Obwohl die Schweiz Ende der 1960er-Jahre noch zu den Pionieren der Quarzuhr-Entwicklung gehört hatte, machte die japanische Firma Seiko das Rennen um den Massenmarkt. Dies führte beinahe zum Kollaps der Schweizer Uhrenindustrie.

Im Herbst 1973 ging das seit 1950 fast ununterbrochene Wirtschaftswachstum durch die Ölpreiskrise abrupt zu Ende und wich überraschend einer Wirtschaftskrise. Grosse Teile der Weltwirtschaft wurden von ihr erfasst.

Die Wirtschaftskrise fiel in der Schweiz deutlich stärker aus als in den anderen OECD-Staaten. Das Bruttoinlandprodukt ging 1975 real um fast 7 Prozent zurück, dies auch, weil rund 200'000 italienische Arbeitskräfte das Land verlassen mussten.

Besonders stark betroffen von der Ölkrise waren neben der überdimensionierten Bauwirtschaft insbesondere die Textilbranche und die Maschinenindustrie. Und die für den Export so wichtige Uhrenindustrie, die lange die Bedeutung der Quarzuhr für den Massenmarkt verkannt hatte, geriet sogar in existenzielle Nöte. 

Die Exportwirtschaft litt neben der sinkenden Nachfrage unter dem starken Franken, nachdem US-Präsident Richard Nixon 1971 die Golddeckung des US-Dollars aufgehoben und damit das Welt-Währungssystem von Bretton Woods beendet hatte. Der Ölpreisschock trieb die bereits hohe Jahresteuerung in der Schweiz im Dezember 1973 auf fast 12 Prozent.

Noch vor dem Ausbruch der Wirtschaftskrise entwickelte sich ab 1970 innert kurzer Zeit ein neues Umweltbewusstsein. Der Grund dafür waren die Folgen des ungezügelten Wachstums, vor allem der Belastung der Bevölkerung durch Lärm, Russ und Abgase des stark zunehmenden Verkehrs sowie der Flüsse und Seen durch Abwässer und der Landschaft durch Abfalldeponien und die Luftverschmutzung.

Am 6. Juni 1971, bei der ersten Abstimmung mit Beteiligung der Frauen, nahm das Volk den Umweltartikel mit dem zweithöchsten Ja-Anteil in der Geschichte des Bundesstaates (92.7 Prozent) an. Das Umweltschutzgesetz trat erst 1985 in Kraft, in der Zwischenzeit trieben aber die Behörden vor allem den Bau von Kläranlagen voran.

Die Ölkrise von 1973 traf die Schweiz, deren Energieversorgung damals zu 80 Prozent vom Erdöl abhing, völlig unvorbereitet. Dem Bundesrat fehlte mangels Verfassungsartikel die Grundlage, um in die Märkte einzugreifen und die Versorgung sicherzustellen. Er setzte deshalb 1974 unter dem Vorsitz des damaligen «Atompapstes» Michael Kohn erstmals eine Eidgenössische Kommission für die Gesamtenergiekonzeption ein.

Protestbewegung gegen die Atomkraft

Seit den ausgehenden 1960er-Jahren hatten die Stromversorger im Besitz der Kantone und der Städte bereits den Bau von AKW vorangetrieben, anfangs gemäss einem breiten Konsens, vor allem auch der Naturschützer, die sich gegen den Ausbau der Wasserkraft wehrten. So gingen schliesslich in der Schweiz fünf Atomkraftwerke ans Netz: Beznau 1 1969, Beznau 2 und Mühleberg 1972. Das AKW Gösgen folgte 1979 und Leibstadt 1984. 

Ganz so einfach war diese Entwicklung allerdings nicht: Beim Baubeginn für das AKW Kaiseraugst kam es im Frühling 1975 zu einer wochenlangen Besetzung, weil Wachstumskritiker die Atomkraft grundsätzlich ablehnten. Die Anti-AKW-Bewegung reichte mehrere Volksinitiativen für ein Verbot ein. Das Volk lehnte sie 1979, 1984 und 1990 jeweils mit knappem Mehr ab; das AKW Leibstadt blieb aber bis heute das letzte gebaute Werk.

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In Gösgen steht noch heute eines von fünf Atomkraftwerken, die zwischen 1969 und 1984 in der Schweiz gebaut und ans Stromnetz angeschlossen wurden.

1975 führten die Stimmbürger mit grossem Mehr die «uneingeschränkte Niederlassungsfreiheit» für Schweizer Bürger im ganzen Land ein. Bis dahin konnten Kantone Sozialhilfebezüger in deren Heimatort zurückschaffen.

In dieser Zeit wurde das Vertrauen der Bevölkerung in die Behörden allerdings wiederholt durch politische Affären und Skandale auf die Probe gestellt, so 1964 durch die Mirage-Affäre und 1989 durch den Fichenskandal sowie 1990 durch die Aufdeckung der Geheimorganisation P-26.

Die Krise um die separatistische Bewegung im Berner Jura wurde 1979 auf demokratischem Weg gelöst. Durch die Abspaltung der französischsprachigen Amtsbezirke Delsberg, Ajoie und Freiberge vom Kanton Bern wurde der neue Kanton Jura gegründet. Durch die Kantonsgründung wurde das Laufental zu einer bernischen Exklave. Nach einer Abstimmungskaskade erfolgte per Anfang 1994 der Kantonswechsel des Laufentals zum Kanton Basel-Land.

Die internationale Jugendbewegung führte 1968 (und später auch 1980) vor allem in Zürich zu Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und den Behörden mit teils blutigen Krawallen.

Politisch und gesellschaftlich kam es zu einer Ablösung der alten Eliten und zum Aufbrechen der Geistigen Landesverteidigung. Gleichzeitig entstand aber auch eine konservative Gegenbewegung in den bürgerlichen Parteien, die vor allem von der SVP Zürich mit ihrem Präsidenten Christoph Blocher ausging.

Eine markante gesellschaftspolitische Auseinandersetzung ergab sich 1989 anlässlich der von der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee GSoA herbeigeführten Abstimmung über eine Abschaffung der Schweizer Armee.

Trotz starkem Engagement von Politik, Behörden und Armee für die Beibehaltung der Armee stimmte ein Drittel der Stimmberechtigten für deren Abschaffung. Zusammen mit den Erschütterungen der Fichenaffäre bewirkte die Kontroverse um die Armee das endgültige Ende der Geistigen Landesverteidigung.

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Sitzblockade vor einem Tram während der Globus-Krawalle 1968 in Zürich.