Um den Kommunismus einzudämmen und den Wiederaufbau Europas anzukurbeln, kündigt US-Aussenminister George C. Marshall im Sommer 1947 mit dem nach ihm benannten «Marshall-Plan» ein milliardenschweres Hilfsprogramm für den Wiederaufbau Europas an. Die Sowjetunion lehnt eine Teilnahme ab.
Die Umsetzung des «Marshall-Plans» macht in Deutschland eine Währungsreform nötig. Anstelle der wertlos gewordenen Reichsmark wird im Sommer 1948 die Deutsche Mark eingeführt, was weit herum als erster Schritt zur Gründung eines westdeutschen Staats verstanden wird.
Die Sowjetunion reagiert umgehend mit der Blockade aller Land- und Wasserverbindungen nach West-Berlin. Um die über zwei Millionen West-Berliner zu versorgen, organisiert die USA eine Luftbrücke. Die bis Mai 1949 andauernde Berlin-Blockade ist der erste Höhepunkt des Kalten Krieges.
Die 1950er-Jahre gehen als das Jahrzehnt des Wirtschaftswunders in die Geschichte der Bundesrepublik ein. Die Weichen dafür hat Ludwig Erhard gestellt, der Vordenker der Währungsreform und erste Wirtschaftsminister der Bundesrepublik.
«Soziale Marktwirtschaft» nennt sich die von ihm vorangetriebene Wirtschaftsordnung, deren Slogan «Wohlstand für alle» lautet: Jeder, der etwas leistet, soll sich auch etwas leisten dürfen.
Am Anfang des Aufschwungs steht die Förderung der Industrie, insbesondere des Bergbaus und der Stahlindustrie. Später gewinnen Maschinenbau, Chemie und Elektroindustrie an Bedeutung.
In der ersten Hälfte der 1950er-Jahre spielt die Produktion von Konsumgütern für den privaten Bedarf noch kaum eine Rolle. Auch die Löhne wachsen erst zögerlich, da die Gewinne der Unternehmen fast ausschliesslich in den weiteren Ausbau fliessen.
Dass sich die Bundesrepublik so schnell von den Kriegsfolgen erholt, verdankt sie vor allem der Unterstützung der westlichen Alliierten. Diese benötigen im Kalten Krieg dort einen starken Bündnispartner, wo die Blöcke in Mitteleuropa aufeinanderprallen. Und das ist Deutschland aufgrund seiner Grösse und seiner geografischen Lage. Statt also weitere Demontagen hinnehmen zu müssen, profitiert die Bundesrepublik stark vom «Marshall-Plan», der Aufbauhilfe der USA für die kriegszerstörten europäischen Länder.
In den Jahren 1950 bis 1963 nimmt die Industrieproduktion real um 185 Prozent zu. Es gibt genügend Arbeitskräfte, die zahlreichen Vertriebenen und Flüchtlinge können beim Aufbau der Wirtschaft gut eingesetzt werden.
Frauen allerdings, die am Ende des Krieges und in den ersten Jahren danach in vielen Bereichen der Wirtschaft arbeiteten, werden wieder nach Haus geschickt. Das Frauen- und Familienbild der Adenauer-Regierung sieht eine Berufstätigkeit von Frauen nur bis zur Eheschliessung vor.
Ende der 1950er-Jahre mangelt es deshalb sogar an Arbeitskräften. Unternehmer beginnen, ausländische Arbeitskräfte einzustellen. 1955 wird das erste Anwerbeabkommen mit Italien unterzeichnet, ab 1960 folgen mit Portugal, Spanien, Griechenland und der Türkei weitere Mittelmeerländer.
Aus dieser Zeit stammt auch der Begriff «Gastarbeiter». Denn die Anwerbung sieht nicht vor, dass die ins Land geholten Arbeitskräfte auch auf Dauer bleiben. Meist arbeiten sie als ungelernte Arbeiter in Fabriken und auf dem Bau, später vor allem im Bergbau, auch wenn sie daheim andere Berufe gelernt hatten.
Der VW Käfer wird zum Symbol für das Wirtschaftswunder. 1955 rollt das millionste Exemplar als vergoldetes Sondermodell im Werk Wolfsburg vom Band.
Auch der Elektrobereich boomt: Waschmaschinen, Kühlschränke, Fernsehgeräte und Radioapparate sind Verkaufsschlager. Firmen wie Krupp, die durch ihre Rüstungsproduktion im Zweiten Weltkrieg stark in Verruf geraten waren und durch Bomben stark zerstört und nach Kriegsende demontiert wurden, erholen sich in den 1950er-Jahren.
Lokomotiven, Industrieanlagen, Maschinen und Motoren werden in alle Welt verkauft. Die Bundesrepublik als Industriestandort lockt viele Investoren aus dem Ausland an – der Aussenhandel blüht. «Made in Germany» wird zum Qualitätslabel im Güterexport.
Ludwig Erhard wehrt sich vehement gegen den Begriff «Wirtschaftswunder», sieht er doch den wirtschaftlichen Aufstieg der Bundesrepublik als eine Folge von harter Arbeit, Wiederaufbauleistung und – in den ersten Jahren – dem Verzicht auf die Erfüllung persönlicher Konsumbedürfnisse. Also alles andere als ein Wunder, das über Nacht gekommen ist.
Durch den Aufbau der Wirtschaft findet die Bundesrepublik auch wieder die Wertschätzung anderer Länder, zu denen das Verhältnis durch den Krieg zerrüttet war. Die Bundesdeutschen gewinnen langsam einen neuen Nationalstolz, ohne dass eine ausführliche politische Auseinandersetzung über Krieg und Nationalsozialismus vorausgegangen wäre.
Ab Mitte der 1950er-Jahre steigt auch die private Kaufkraft an, während die Lebenshaltungskosten stagnieren. So bleibt mehr Geld für den Konsum übrig.
Die Deutschen geraten in einen wahren Kaufrausch: Möbel, Autos, Reisen, Elektrogeräte. Ludwig Erhards Konzept vom «Wohlstand für alle» scheint aufzugehen.
Die Massenfertigung von Konsumgütern verbilligt die Preise für ehemals unerschwingliche Dinge wie Waschmaschinen, Radios und neu auch Fernseher. Die Bundesregierung unterstützt zudem den Traum vom «Häuschen im Grünen» mit zinsgünstigen Baukrediten.
Alle Schichten haben an dem wachsenden Wohlstand ihren Anteil: auch die Arbeiter und – nach einer Rentenreform 1957 – die Alten. Soziale Sicherheit, Vollbeschäftigung – in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre bilden sich die Massstäbe für eine Lebensqualität, die heute als selbstverständlich gilt.
Zwei besonders starke Ausprägungen der neuen Konsumlust sind die «Fresswelle» und die neue Reiselust. Während es nach dem Krieg zunächst vor allem darum ging, satt zu werden, futtern sich in den 1950er-Jahren viele Deutsche «Wohlstandsbäuche» an. Gute Butter, echter Bohnenkaffee und üppiges Essen sind gefragt.
Nach und nach ändern sich auch die Essgewohnheiten: Das helle Weizenmehl, das bis anhin nur in Konditoreiprodukten Verwendung fand, wird mehr und mehr im Brot verbacken – die Amerikaner haben es mit ihrem Toastbrot vorgemacht.
Konserven und Tiefkühlkost lösen das frische Gemüse aus dem eigenen Garten ab. Reisen machen Lust auf exotische Kost. Überhaupt das Reisen: In den 1950er-Jahren scheint für viele Bundesbürger der Urlaub wieder in den Bereich des Möglichen zur rücken. Anfangs besuchen sie vor allem Verwandte, später ziehen sie in Pensionen und Fremdenheime.
Anfang der 1960er-Jahre fährt bereits jeder dritte Deutsche einmal im Jahr in den Urlaub. Auch wenn das Fernweh gross ist – Italien bleibt für die meisten ein Wunschtraum. Die Reiseziele liegen zunächst noch in der Nähe: die Nordsee, das Mittelgebirge, das Sauerland, der Schwarzwald. Oder Bayern.
Busunternehmen bieten Fahrten auch für die, die sich noch kein eigenes Auto leisten können. Und die Autobesitzer entdecken eine neue preiswerte Variante des Urlaubs: das Camping. Erst später, so ab Mitte der 1960er-Jahre, fliegen die ersten deutschen Reisegesellschaften dann regelmässig nach Mallorca, den «Germanengrill im Mittelmeer» (so der Text einer Fernsehreportage von 1965).
Quelle: planet-wissen.de